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Hierbei handelt es sich um einen Archivbeitrag des GVP-Vorgängerverbands „iGZ“.
Na, heute schon gelernt? Gemeint ist nicht, ob Sie an einem Seminar oder Training teilgenommen haben, obwohl das immer noch das ist, was die meisten Menschen mit Lernen und Weiterbilden verbinden. Lernen bedeutet heute nicht mehr, (nur) an einer Schulung teilzunehmen, Fachbücher zu lesen oder sich hinzusetzen und zu büffeln. Das heutige Verständnis von Lernen muss sich vielmehr der heutigen Arbeitswelt anpassen. Was macht Lernen heute und in Zukunft aus? Darüber hat Verbandelt-Gastgeberin Sara Schwedmann mit Professor Tim Brüggemann von der Fachhochschule des Mittelstands in Bielefeld gesprochen. Der 44-Jährige forscht im Bereich der beruflichen Bildung und entwickelt innovative Weiterbildungskonzepte und -formate.
Als Typ habe ich eigentlich als Schüler genauso gelernt, wie ich heute lerne. Lernen ist sehr individuell. Jeder lernt ein bisschen anders. Auch wenn das wissenschaftlich immer heiß diskutiert wird, gibt es sehr unterschiedliche Lerntypen. Was sich aber von früher zu heute verändert hat, sind die Lernumgebungen. Früher hat man vor allem aus Büchern gelernt, wenn man für sich gelernt hat. Heute hat man da eine viel breitere Variation an Videos, Audios oder Quizze, ganz dem eigenen Lerntyp entsprechend.
Eine Variation musste es immer schon geben. Lernen ist ja per se erstmal eine Herausforderung. Die junge Generation ist durch ihren Mediengebrauch gewohnt, dass die Formate sich abwechseln und nicht immer den gleichen Stil haben. Bei Lern-Videos sind derzeit beispielsweise Videos im Kahn-Style beliebt. Diese Person ist in ihren YouTube-Videos ganz natürlich und locker, verspricht sich auch mal, macht einen Witz oder erzählt Anekdötchen. Lehrvideos haben wir früher meist am Stehpult oder vor einer Wand gemacht, dann einfach stumpf gerade in die Kamera geschaut und unser Skript runtergerasselt. Das würde sich heute keiner mehr länger als zwei Minuten antun. Auch die sogenannten „Digital-Game-Based-Learning-Elemente“, also das spielerische Aufbereiten von Lerninhalten, haben zugenommen – was nicht heißt, dass jetzt jeder Lerninhalt mit Glitzer, Glimmer und Pünktchen versehen sein muss. Als Benutzer merke ich gar nicht unbedingt, dass die aus dem Gamification-Bereich kommen. Spielen ist ja teilweise sinnfrei, es macht einfach Spaß und man bleibt dran. Diese Effekte machen wir uns im Bildungsbereich zunutze. Das sind oft ganz kleine Sachen, wie zum Beispiel ein Fortschrittsbalken. Wenn ich jetzt Lern-Module oder ein Kapitel durcharbeite und ich sehe, ich habe schon 75 Prozent geschafft, motiviert mich das. So ein Fortschrittsbalken erhöht die Chance, dass jemand ein Modul zu Ende macht, um 60 Prozent, zeigen wissenschaftliche Studien. Das ist schon verrückt. Dann bekomme ich dafür einen „Batch“, ein Abzeichen, die ich sammeln kann. So ähnlich wie früher Fleißkärtchen, nur halt digital.
Auch in Zeiten von New Work erwartet die Arbeitswelt ein gewisses Set an beruflicher Handlungskompetenz. Diese Fachlichkeit lernt man im Studium oder in einer Ausbildung. Dazu brauche ich soziale Kompetenzen, ich muss beispielsweise kommunikations- und teamfähig sein. Die Future Skills kommen nun on top, wie etwa die Digitalkompetenz. Ich muss flexibel sein, das musste ich früher auch. Diese Kompetenz brauche ich jetzt aber in einer anderen Dimension. Das heißt, wenn ich vorher analog kommunikationsfähig sein musste, muss ich das jetzt auch digital sein. Wenn ich vorher zeigen musste, dass ich teamfähig bin, muss ich das jetzt analog und digital zeigen.
Der Mehrwert für den jeweiligen Mitarbeiter muss klar sein. Dann ist es immer gut sogenannte verzahnte Bildungsketten zu haben: Ich mache also zum Beispiel einen Schein in einem Teilgebiet, den ich mir anrechnen lassen kann, für den ich Credit Points bekomme. Die kann ich dann später auch auf ein Studium oder eine Weiterbildung anrechnen lassen. Das ist quasi ein Sparbuch, ein Lebenslanges-Lernen-Konto. Wer berufsbegleitend studiert oder eine berufliche Weiterbildung macht, der braucht zudem Bildungsangebote, die maximal flexibel sind. Ich möchte eigentlich nur ein Thema richtig durchdringen, beispielsweise agiles Projektmanagement. Das will ich aber nicht gleich studieren oder eine ganze Weiterbildung machen. Und da kommen die Bildungsnuggets ins Spiel, kleine Häppchen wie im À-la-carte-Restaurant. Ich kann mir aussuchen, bei wem ich das mache und jederzeit starten. Mit den Bildungsnuggets erarbeite ich mir einen in sich geschlossenen Kompetenzbereich, bekomme ihn bescheinigt und kann ihn jederzeit irgendwo anders wieder ins Spiel bringen und anrechnen lassen. Die Bildungswelt wird immer flexibler, weil wir mittlerweile andere Möglichkeiten haben und weil die Menschen diese Flexibilität auch erwarten.
Das wird eine total spannende Reise, auch mit der Politik und allen Beteiligten die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Ich glaube, dass das Lernen in fünf oder zehn Jahren noch deutlich individueller und noch flexibler sein wird. Das ist noch ein Silicon Valley, das wir da vor uns haben. Aktuell ist das noch die Gießkanne, viele Studiengänge und Weiterbildungen sind „one size fits all“ – alle machen das Gleiche. Dabei wissen wir, dass nicht jeder gleich lernt und gleich ist, jeder bringt unterschiedliche Sachen mit und findet unterschiedliche Inhalte interessant. Dementsprechend muss Bildung noch viel adaptiver werden. Also, wenn wir beide jetzt eine Weiterbildung machen, dann haben wir nachher die gleiche Weiterbildung gemacht, aber Du bist einen ganz anderen Weg dadurch gegangen als ich, weil ich einige Sachen bereits konnte und andere Inhalte lernen musste als Du. Du hast ein paar andere Abzweigungen genommen – unterschiedliche Lernpfade durch ein und dasselbe Curriculum. Das kann man technisch mittlerweile sehr gut machen. Auch der Bereich Gamification wird noch andere Ausmaße einnehmen, weil sich auch die Lehrenden trauen, ihre Lehrinhalte anders aufzulegen und lernbar zu machen. Und der Bereich Distance Learning ist jetzt schon ein boomender, wir haben aktuell sieben Prozent Wachstum im Bereich Fern-Weiterbildung und Fernstudium. Das wird noch weiter zunehmen und weiter ausgebaut werden.
New Work ist ja vor allem eine Haltung. Wenn ich meine Mitarbeitenden behalten und neue finden möchte, muss ich mich auf sie zubewegen. Wie kann ich die Bedürfnisse der Menschen wahrnehmen und mit den Arbeitsprozessen kombinieren? New Work heißt ja nicht, dass wir jetzt alle Wellnesseinrichtungen werden. Wir müssen ja schon noch Wertschöpfung machen und Geld verdienen. Aber die Arbeitsprozesse müssen überdacht und flexibler werden. Und der New-Learning-Bereich muss sich dem anpassen, weil wir auch nur durch Flexibilisierung die Menschen noch erreichen. Die Menschheit verlangt nach Sinnhaftigkeit, berechtigterweise, von der Arbeit, von Produkten und auch von Bildung. Das kann ich nicht ignorieren. Also kann ich die Bildung nicht so machen wie vor zehn Jahren, wenn sich die Welt und auch die Arbeitswelt um mich herum verändern. Ich muss die Leute fit machen – und das kann ich nur durch New Learning. New Work braucht New Learning und umgekehrt.
Es lernt sich am besten ganz entspannt, weil das alles durch den Kopf muss und der kann nur lernen, wenn ich wirklich gechillt bin, wie die Jugend sagt. Wenn ich zwischen Tür und Angel oder gestresst abends noch eben versuche, zu lernen, brauche ich gar nicht erst anzufangen. Das ist jetzt nicht besonders „fancy“ und ausgefallen, was ich da sage. Aber am besten schaffe ich mir Rituale, die mich zur Ruhe kommen lassen – entspannte Atmosphäre bei Tee oder Kaffee beispielsweise morgens bevor die Kinder aufwachen. Fühle ich Panik, Angst und Stress ist es sinnlos. Entspannt lernt es sich am besten.
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