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Hierbei handelt es sich um einen Archivbeitrag des GVP-Vorgängerverbands „iGZ“.
Wolfram Linke
„Viele Baustellen für die Zeitarbeitsbranche“, unter anderem die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg, benannte der stellvertretende iGZ-Hauptgeschäftsführer, Dr. Martin Dreyer als Aufgaben zum Auftakt des mittlerweile zehnten Potsdamer Rechtsforums des iGZ. Es gelte aber auch, sich mit gesetzlichen und politischen Hürden auseinanderzusetzen, erläuterte er den rund 120 Teilnehmern: „Wir brauchen die Verordnung zum Kurzarbeitergeld (KuG)“, betonte Dreyer angesichts der sich negativ entwickelnden wirtschaftlichen Lage. „Die Verhandlungen zum KuG stehen Spitz auf Knopf“, stellte er mit Blick auf die anstehende Entscheidung fest.
Der Not gehorchend seien in diesem Jahr auch Tarifverhandlungen anberaumt worden. Die Entscheidung, den gesetzlichen Mindestlohn anzuheben, sei vollkommen falsch: „Das ist ein Systembruch, dass die Entlohnung an der eigens dafür eingerichteten Mindestlohnkommission vorbei angehoben wurde“, unterstrich Dreyer. In diesem Zusammenhang kündigte er an, dass ab Herbst die Verhandlungen über die Entgeltgruppen 3 bis 9 aufgenommen werden.
Für zusätzliche Aufregung habe der Gesetzgeber beim Nachweisgesetz gesorgt. Das sei ein europäisches Gesetz, das national umgesetzt werden musste, klärte er auf. Das Gesetz führe aber nur zu noch mehr Komplikationen. „Wir müssen uns an die gesetzlichen Vorgaben halten, deshalb sind die Musterarbeitsverträge nochmal länger geworden“, verwies der stellvertretende Hauptgeschäftsführer auf die geänderten Vorlagen. Sehr ärgerlich sei nach wie vor das Schriftformgebot. Dreyer: „Dabei ist es völlig unstreitig, dass die aktuelle Arbeitsbedingungenrichtlinie sehr wohl die elektronische Form zulässt.“ Eine weitere Hürde sei die Beschäftigung von Drittstaatlern in der Zeitarbeitsbranche. „Das ist ein zusätzliches Hindernis und eine Torheit des Gesetzgebers, ausgerechnet die Branche zu verbieten, die im Umgang mit Zuwanderern geradezu prädestiniert ist“, ärgerte er sich.
Dr. Guido Norman Motz, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, thematisierte in seinem Impulsvortrag unter anderem die Frage, wie lang denn eine Überlassung denn noch vorübergehend sei. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe dazu im März entschieden, die Überlassung auf einen Dauerarbeitsplatz sei unionsrechtskonform. Ziel der Richtlinie sei es eben auch, den Wechsel auf eine unbefristete Stelle zu ermöglichen. Den nationalen Gerichten obliege es zu entscheiden, was noch vorübergehend sei und es seien die Besonderheiten der jeweiligen Einsatzbranchen zu berücksichtigen. Die Ausdehnung der Überlassungshöchstdauer könne den Tarifvertragsparteien laut EuGH überlassen werden – und zwar auch denen, die nur für die Branche des entleihenden Unternehmens zuständig seien.
Das weite – und umstrittene – Feld des Gesamtschutzes nahm anschließend Prof. Dr. Martin Franzen, juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München, coronabedingt per Videoübertragung ins Visier. Dabei äußerte er sich zum Schlussplädoyer des Generalanwalts Collins, der den Schlussantrag zur anstehenden EuGH-Entscheidung formuliert hatte. In Deutschland könne man vom Gleichheitsgrundsatz per Tarifvertrag abweichen, allerdings unter Wahrung des Gesamtschutzes.
Im Fokus stehen dabei laut Franzen die Fragen, wie der Begriff „Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG definiert werde und insbesondere, ob dieser Begriff über den durch Unionsrecht und nationales Recht festgelegten zwingenden Schutz für alle Arbeitnehmer hinausgehe? Collins habe hier aus seiner Sicht dargestellt, dass die Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz durch Tarifvertrag in Bezug auf das Arbeitsentgelt durch Ausgleichsleistungen im Tarifvertrag kompensiert werden müsse. Das, so Franzen, sei schon ein völlig falscher Ansatz und ignoriere das deutsche Procedere.
Hinsichtlich der Kontrollbefugnisse der Arbeitsgerichte bezüglich der Zeitarbeitstarifverträge im Hinblick auf die Achtung des Gesamtschutzes der Zeitarbeitnehmer stellte er sowohl unklare Prüfkriterien als auch unklare Rechtsfolgen fest: Der gesamte Tarifvertrag sei keinesfalls unwirksam, sondern allenfalls im Einzelfall unanwendbar. Die anderen tariflichen Regelungen, sofern sie noch eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung enthalten, seien ebenfalls anwendbar. Die Entgeltregelungen im Tarifvertrag seien zudem für alle Fallkonstellationen wirksam, und wenn, dann nur im Einzelfall unwirksam.
Eine Expertenrunde, Dr. Guido Norman Motz, Prof. Dr. Martin Franzen und Dr. Martin Dreyer, diskutierten, moderiert von iGZ-Kommunikationsleiter Jens Issel, über die Frage, ob der EuGH überhaupt die deutsche Zeitarbeit versteht. Im Mittelpunkt stand dabei die doch recht fragwürdige Stellungnahme des Generalanwalts zum Gesamtschutz. Motz erinnerte, der Generalanwalt habe völlig ignoriert, dass es in Deutschland auch in Nichteinsatzzeiten eine Vergütung oder dann auch Weiterbildungsangebote Dreyer äußerte, bis zur Entscheidung könne man nicht viel tun, aktuell sei es ein bisschen Kaffeesatzleserei, „aber wir werden unsere Meinung auch publizistisch untermauern, auch um dem BAG (Bundesarbeitsgericht) Argumente zu liefern“, kündigte er an. Franzen schätzte, dass im Januar oder Februar 2023 mit dem Urteil zu rechnen sei – Motz fügte an, es sei auch abzuwarten, ob das BAG dann nochmal gefragt sei und es eventuell ans Landesarbeitsgericht zurückverweise.
In drei Fachforen konnten die Teilnehmer ihr juristisches Wissen vertiefen: Dr. Alexander Bissels, Fachanwalt für Arbeitsrecht, CMS Hasche Sigle, thematisierte „Immer (öfter) Ärger mit den Kunden?! Aktuelles rund um die Gestaltung von Vertragsklauseln, insbesondere zur Personalvermittlung“. Einen ersten „Schadensreport zum Nachweisgesetz“ lieferte Dr. Vera Luickhardt, Fachanwältin für Arbeitsrecht, METIS Rechtsanwälte PartGmbH. Das „Update Tarifvertrag - Arbeitszeitmodelle und Best Practice aus der Beratungspraxis“ lieferten Eric Odenkirchen, RA (Syndikusrechtsanwalt), und Leiter des iGZ-Fachbereichs Arbeits- und Tarifrecht, sowie RA (Syndikusrechtsanwältin) Mandy Ostermeier.
Nach einem Fazit aus den Fachforen gab Jörg Hennig, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Fachanwalt für Sozialrecht, HK2 Rechtsanwälte, dem Plenum ein „Update“ zu den „Prüfungen der Bundesagentur für Arbeit: Recht - Praxis – Psychologie“. Der Referent erläuterte, die Erlaubnis oder ihre Verlängerung sei zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller nicht die erforderliche Zuverlässigkeit besitze. Das gelte vor allem, wenn er die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts, über die Lohnsteuer, Arbeitsvermittlung, die Ausländerbeschäftigung, die Überlassungshöchstdauer, des Arbeitsschutzrechts oder die arbeitsrechtlichen Pflichten nicht einhalte. Weitere Hindernisgründe seien, wenn der Antragsteller nach der Gestaltung seiner Betriebsorganisation nicht in der Lage sei, die üblichen Arbeitgeberpflichten zu erfüllen und dem Zeitarbeitnehmer die nach ihm zustehenden Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgeltes nicht gewähre.
Oftmals, so Hennig, fehle indes die böse Absicht. Versäumnisse, etwa die Beantragung der Verlängerung der AÜ-Erlaubnis oder einfach auch Unwissenheit seien häufig auch ursächliche Gründe für die Versagung der Erlaubnis. Es bestehe aber die Möglichkeit der Korrektur solcher Versäumnisse: Der Erlaubnisantrag gelte bis zur rechtskräftigen Entscheidung als fortlaufend gestellt. Basis sei die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch das Gericht zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung: Der Personaldienstleister könne noch im laufenden Gerichtsverfahren und somit über letzte behördliche Entscheidung hinaus „für ihn günstige Tatsachen für die Prognoseentscheidung der Zuverlässigkeit nachlegen“, betonte Hennig. Diese seien vom Gericht uneingeschränkt zu berücksichtigen. Gebe es dann keine weiteren Beanstandungen, bestehe die Pflicht, die Erlaubnis zu erteilen.
Mit den arbeitsrechtlichen Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag beschäftigte sich Roland Wolf, BDA, Abteilungsleiter Arbeitsrecht und Tarifpolitik, Geschäftsführer. „Zwei Gutachten bestätigen Verfassungswidrigkeit der Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns“, informierte Wolf das Plenum zum Thema jüngste Mindestlohnanhebung. Das Verfahren sei eine Verletzung des Bestands- und Autonomievertrauen der Sozialpartner und ein Verstoß gegen die Tarifautonomie, unterstrich der Referent. Bedarfsgerechtigkeit sei kein zulässiger Maßstab. Außerdem sei die Beteiligung der Sozialpartner zum Schutz der Tarifautonomie notwendig. Unter anderem analysierte er die Entscheidung des BAG zur Tariffähigkeit der Gewerkschaft ver.di auch in Pflegebranche – laut Beschluss ist die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) tariffähig und kann damit Tarifverträge auch in der Pflegebranche abschließen. Mit einem Schlusswort beendete Eric Odenkirchen das zehnte Potsdamer Rechtsforum.
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