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Hierbei handelt es sich um einen Archivbeitrag des GVP-Vorgängerverbands „BAP“.
Gesamtverband der Personaldienstleister e.V.
Als zum 1. April 2017 das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) geändert wurde, war darin auch die Vorschrift enthalten, die Anwendung des geänderten Gesetzes zu evaluieren. Dieser "Endbericht zum Forschungsvorhaben Evaluation des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG)" wurde Ende 2022 von der Bundesregierung veröffentlicht. Die entsprechenden empirischen Befundlagen und die politischen Bewertungen daraus analysieren Dr. Oliver Stettes und Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) im Interview in Ausgabe 3/2022 des Branchenmagazins "Personaldienstleister".
Personaldienstleister: Insgesamt stellt der Bericht des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung und infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft den AÜG-Änderungen von 2017 kein gutes Zeugnis aus. Lassen Sie uns die wichtigsten Punkte Höchstüberlassungsdauer und Equal Pay ansehen. Die deskriptive Analyse des Berichts zeigt, dass Überlassungsdauern von über 18 Monaten von 18 auf 11 Prozent zurückgegangen sind. Trotzdem kommt der Bericht zu dem Ergebnis, dass die Höchstüberlassungsdauer ein "zahnloser Tiger" sei. Wie passt das zusammen, Herr Dr. Stettes?
Dr. Oliver Stettes: Man ist angesichts der Wertung "zahnloser Tiger" zunächst versucht zu sagen, dass, Gott sei Dank, die Höchstüberlassungsdauer dem Bericht zu Folge keinen größeren Effekt oder besser keinen Schaden verursacht hat. Die kontrafaktische Situation, was denn bei höherer Eingriffswirksamkeit der Höchstüberlassungsdauer die Folge für Kundenunternehmen, aber auch die betroffenen Zeitarbeitskräfte gewesen wäre, wird ja nicht untersucht, geschweige denn analysiert. Irritierend ist die Wertung gleichwohl, denn die Studie belegt ja selbst, dass der "Tiger Höchstüberlassungsdauer Zähne hat", um im Bild zu bleiben: Erstens ist nicht nur der Anteil von Überlassungsdauern von über 18 Monaten, wie in der Frage beschrieben, gesunken, es gibt auch nach der Reform eine auffällige Häufung von Einsatzbeendigungen nach 18 Monaten Einsatzdauer. Zweitens weisen Betriebe, in denen die Zeitarbeitskräfte vor der Reform 18 Monate und länger bereits im Einsatz waren, eine höhere Übernahmewahrscheinlichkeit auf. Drittens erfolgen längere Einsätze grundsätzlich unter dem Schirm von Ausnahmeregelungen in Tarifverträgen. Und das war ja zumindest 2017 bei der AÜG-Änderung auch so vom Gesetzgeber gewollt.
Personaldienstleister: Herr Schäfer, es wird eine Reihe von Vorschlägen gemacht, wie die angeblich nicht vorhandene Wirksamkeit der Höchstüberlassungsdauer verstärkt werden könnte, zum Beispiel durch eine zeitliche Verkürzung oder die zwingende Verknüpfung eines Übernahmeangebots bei abweichenden Tarifverträgen. Inwieweit sind solche Empfehlungen für Sie – auch auf Grund der Ergebnisse des Berichts – nachvollziehbar?
Holger Schäfer: Natürlich würde eine Verkürzung der Höchstüberlassungsdauer "die Wirksamkeit erhöhen", weil mehr Einsätze betroffen wären und die Beteiligten sich an die Regelungen halten, wie die Evaluation zeigt. Allerdings würde man den Kundenbetrieben ein wertvolles Flexibilisierungsinstrument aus der Hand schlagen. Der Vorschlag, zwingend Übernahmeangebote an Ausnahmeregelungen zu verknüpfen, überzeugt schon deshalb nicht, weil derartige Offerten häufig befristet und damit für die Zeitarbeitskräfte weniger attraktiv sind als die Beschäftigung im Zeitarbeitsunternehmen. Die Evaluierung stellt ja selbst fest, dass das Interesse der Zeitarbeitskräfte, übernommen zu werden, an der 18 Monatsschwelle nicht größer ist. Insbesondere Helfer – die von der Gesetzgebung in besonderem Maße geschützt werden sollen – zeigen oft kein Interesse an einer Übernahme.
Personaldienstleister: Der Bericht stellt ebenfalls fest, dass ein Großteil der Zeitarbeitseinsätze auch schon vor Einführung der Höchstüberlassungsdauer kürzer als 18 Monate war. Wie viel Sinn macht unter diesen Umständen die gesetzliche Begrenzung, Herr Dr. Stettes?
Stettes: Die Evaluation zeigt damit, dass die Zeitarbeit ihre Kernfunktion erfüllt, nämlich Organisation von vorübergehenden Einsätzen – wenn man darin denn allein die entscheidende Funktion der Zeitarbeit sehen und ihr nicht noch andere "Aufgaben" zubilligen will. Die Einsatzmotive, die von den Unternehmen in der Evaluation genannt werden, bestätigen dies jedenfalls auch noch einmal. Wo Einsätze länger dauern, besteht offenkundig eine betriebliche Notwendigkeit. Daher ergibt es grundsätzlich keinen Sinn, allgemein eine Höchstüberlassungsdauer zu definieren. Sie bleibt stets willkürlich.
Personaldienstleister: Die Equal Pay-Regelung, nach der ohne die Zahlung von Branchenzuschlägen nach neun Monaten nicht mehr durch Tarifvertrag von der gleichen Bezahlung abgewichen werden darf, wird als implizite Höchstüberlassungsdauer bezeichnet. Welche Nachweise, Herr Schäfer, bringt der Bericht für diese Einschätzung?
Schäfer: Diese Beurteilung überrascht, auch wenn man dies theoretisch tatsächlich vermuten könnte, wenn kein Branchenzuschlagstarifvertrag greift. Aber die Autoren sprechen auf Basis ihrer Ergebnisse selbst davon, dass die Equal Pay-Regelung nicht mit einer häufigeren Beendigung von Einsätzen nach neun Monaten einhergeht oder die Einsatzdauern beeinflusst. Dies spricht gegen die Hypothese einer impliziten Höchstüberlassungsdauer.
Personaldienstlesiter: In der Zusammenfassung des Kapitels über Equal Pay wird behauptet, dass es auch nach den AÜG-Änderungen ein Pay Gap zwischen Zeitarbeitskräften und Stammbeschäftigten gäbe und dass diese Lücke nicht kleiner geworden sei. Herr Dr. Stettes, auf welche Befunde des Berichts stützt sich diese Behauptung?
Stettes: Die Studie betrachtet den Entgeltunterschied zwischen Zeitarbeitskräften und den Arbeitskräften im Einsatzbetrieb. Im Durchschnitt ist das Entgelt Ersterer niedriger. Allerdings zeigt eine Schätzung des bereinigten Entgeltunterschieds, die die Studienautoren selbst angeben, dass die Lücke kleiner geworden ist und zwar um 13 Prozentpunkte, wenn man die unterschiedlichen lohnrelevanten Merkmale beider Beschäftigtengruppen in den Blick nimmt.
Personaldienstleister: Der Bericht konstatiert also selbst, dass die Lohnlücke signifikant kleiner geworden ist – auch wenn das offensichtlich eher den Tarifvertragsparteien als den AÜG-Änderungen zu verdanken ist. Inwiefern rechtfertigt die noch vorhandene Lohnlücke von "im Mittel" 8 Prozent den in dem Bericht enthaltene Vorschlag nach einem "strikten" Equal Pay ab dem ersten Tag, Herr Schäfer?
Schäfer: Die Forderung nach einem strikten Equal Pay ab dem ersten Tag übersieht, dass nur in vereinzelten Ausnahmefällen Zeitarbeitskräfte bereits am ersten Einsatztag dieselbe Produktivität wie die Stammkräfte in den Einsatzunternehmen aufweisen, die ja in der Regel bereits länger in diesem tätig und daher stärker in betriebliche Prozesse eingebunden sind. Das spricht die Studie selbst auch implizit an, denn rund ein Drittel der befragten Nichteinsatzbetriebe nennt die niedrige Produktivität der Zeitarbeitskräfte als Grund dafür, auf dieses Instrument zu verzichten.
Personaldienstleister: Im Bericht wird interessanterweise nicht der amtliche Anteil der Zeitarbeitskräfte an der Gesamtbeschäftigung angegeben, den die Bundesagentur für Arbeit ausweist, sondern eine Quote, die auf dem IAB-Betriebspanel und eigenen Berechnungen der Studienautoren beruht. Diese Quote ist mehr als doppelt so hoch wie die der Bundesagentur für Arbeit. Wie kann eine solche Diskrepanz zustande kommen, Herr Dr. Stettes?
Stettes: Das lässt sich von außen betrachtet nicht genau sagen. Für das Jahr 2021 weist das IAB auf Grundlage der gleichen Datenbasis einen Anteil der Zeitarbeitskräfte von sogar nur insgesamt 1 Prozent an der Gesamtbeschäftigung aus. Denkbar ist, dass das Evaluationsteam hier vielleicht nur die durchschnittliche Nutzungsintensität von Zeitarbeit in den Betrieben erfasst hat, die überhaupt Zeitarbeitskräfte jeweils in der ersten Jahreshälfte – das ist für das IAB-Betriebspanel der relevante Untersuchungszeitraum – Zeitarbeitskräfte einsetzen.
Personaldienstleister: Der Bericht arbeitet mit qualitativen Interviews und Daten, die bis in das Jahr 2020 reichen – wahrscheinlich, weil es tatsächlich keine neueren gibt. Herr Dr. Stettes, Herr Schäfer: Was kann passieren, wenn Politik Entscheidungen auf Basis solcher Daten trifft, die die neuesten Entwicklungen in Zeitarbeit und Wirtschaft nicht berücksichtigen?
Stettes: Ein Datenstand von 2020 ist zunächst wenig problematisch. Denn es spricht zunächst einmal nichts gegen die Annahme, dass sich an den Befunden nichts ändern würde. Was sich allerdings geändert hat, ist das wirtschaftliche Umfeld – genannt seien hier als Stichpunkte nur der Ukraine-Krieg und seine Folgen wie hohe Inflation und Energiekrise sowie die aus der Corona-Pandemie resultierenden Lieferengpässe. Das bedeutet, man muss stärker potenzielle Folgewirkungen im Auge haben, die die Evaluation nicht berücksichtigt.
Schäfer: Zudem muss man aus meiner Sicht beachten, dass die Befunde teilweise auf einer dünnen Datengrundlage basieren, zum Beispiel bei den qualitativen Studienteilen. Schließlich ist es problematisch, wenn die empirische Befundlage und die im Grunde politische Bewertung des Evaluationsteams teilweise auseinanderklaffen.
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