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Hierbei handelt es sich um einen Archivbeitrag des GVP-Vorgängerverbands „BAP“.
Gesamtverband der Personaldienstleister e.V.
In welchen Berufen ist der Arbeits- und Fachkräftemangel besonders eklatant? Wo ist in absehbarer Zeit mit weiteren Engpässen zu rechnen? Und das Wichtigste: Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, um dagegen anzugehen? Dirk Werner, Leiter des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung KOFA beim Institut der Deutschen Wirtschaft (IW Köln), spricht im Interview in der neuen Ausgabe des Branchenmagazins "Personaldienstleister" Klartext. Diese steht ganz im Zeichen des Titelthemas "(Fach-)Kräftezuwanderung".
Personaldienstleister: Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung, kurz KOFA, - was ist das eigentlich und was genau machen Sie da?
Werner: Wir geben kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) Hilfe zur Selbsthilfe für eine erfolgreiche Gestaltung ihrer Personalarbeit und liefern Ideen und Konzepte zur Fachkräftesicherung. Oftmals fehlen in KMU zeitliche, personelle und finanzielle Mittel, um sich im Wettbewerb um begehrte Fachkräfte zu behaupten. Wir bieten ihnen deshalb relevante Informationen kostenlos, praxisnah und mit leichtem Zugang an. Unser Angebot richtet sich an Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer sowie Personalverantwortliche von KMU. Wir arbeiten eng mit Verbänden, Kammern und Wirtschaftsförderungen zusammen, um in gemeinsam organisierten Veranstaltungen möglichst viele Betriebe für unsere Themen zu sensibilisieren und zur Umsetzung zu motivieren.
Personaldiensleister: Das KOFA gibt es schon seit 2011. Da waren die Nuller Jahre mit hoher Arbeitslosigkeit noch gar nicht so lange vorbei. Warum wurde das KOFA schon zu diesem Zeitpunkt eingerichtet?
Werner: Am Beginn stand die Erkenntnis, dass die MINT-Kompetenzen im Mittelstand zentral für den Erfolg des Geschäftsmodells Deutschlands sind. Schon damals hatten wir in bestimmten Berufen Fachkräfteengpässe. Das waren nicht nur IT-Spezialisten, Ingenieure oder Chemiker, sondern auch technische Fachkräfte mit Berufsausbildung oder Fortbildung wie Meister und Techniker. Wir haben unsere ersten Handlungsempfehlungen für Unternehmen entwickelt, um sie zu motivieren, ihre Fachkräfte zu entwickeln, sie langfristig ans Unternehmen zu binden und eine starke Arbeitsgebermarke aufzubauen. Vor zwölf Jahren war es noch erklärungsbedürftig, dass sich Unternehmen bei Beschäftigten bewerben und mehr für Vereinbarkeit, flexible Arbeitszeiten und Weiterbildung tun müssen.
Personaldienstleister: Inzwischen pfeifen die Spatzen von den Dächern, dass Deutschland ein Fachkräfteproblem hat. In welchen Berufsgruppen ist der Mangel besonders groß? Und wo ist in absehbarer Zeit mit weiteren Fachkräfteengpässen zu rechnen?
Werner: Die Engpässe nehmen beständig zu und haben sich nach den Corona-bedingten Lockdowns schnell wieder erhöht und inzwischen ein neues Rekordniveau erreicht. Fachkräftemangel haben wir seit langen Jahren vor allem bei IT-Spezialisten, in Pflegeberufen, im Metall- und Elektrobereich wie etwa dem Mechatroniker sowie im Handwerk. Aktuell sind unter den Top Ten-Berufen mit den größten Fachkräftelücken fünf Berufe aus dem Sozialwesen und dem Gesundheitssektor zu finden. Diese Fachkräfte fehlen beispielsweise bei der Berufseinstiegsbegleitung, in der Schulsozialarbeit, in Jugend-, Kinder- und Altenheimen oder in der Suchtberatung, also überall dort, wo junge oder ältere Menschen persönliche Begleitung in der Lösung sozialer Probleme benötigen. Zudem sind drei Handwerksberufe unter den Top Ten, in denen ebenfalls akuter Personalnotstand herrscht. Viele dieser Berufe in der Bauelektrik, der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik sowie der Kraftfahrzeugtechnik sind hoch relevant für die Gestaltung der Energie- und Klimawende, etwa für die Installation von Solaranlagen, die Optimierung von Gebäudetechnik oder Heizungsanlagen.
Personaldienstleister: Ein Baustein, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, ist Qualifizierung. Tut sich auf diesem Gebiet bereits genug oder ist da noch Luft nach oben?
Werner: Bei der betrieblichen Weiterbildung investieren die Unternehmen so viel wie noch nie. Die Weiterbildungsbeteiligung der Unternehmen in Deutschland lag im Jahr 2019 bei 87,9 Prozent. Das gesamtwirtschaftliche Investitionsvolumen ist gegenüber 2016 um 23 Prozent gestiegen und beläuft sich auf 41,3 Milliarden Euro. Dabei investieren KMU mehr Zeit und Geld in Weiterbildung als Großunternehmen. Sie setzen zudem verstärkt auf digitale Weiterbildungsformate und gewinnen dadurch zeitliche Flexibilität. Hier ist sicher noch Luft nach oben, denn die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft erfordert künftig zeitlich flexiblere und stärker modular ausgerichtete Weiterbildungsangebote und zugleich noch mehr Engagement. In der dualen Berufsausbildung würden die Unternehmen gerne mehr tun. Es bleiben immer mehr angebotene Ausbildungsplätze unbesetzt. Hier wirkt sich derzeit bremsend aus, dass die Berufsorientierung in der Corona-Zeit kaum stattgefunden hat und wir zu wenig Informationen und Werbung für die duale Ausbildung verbreiten.
Personaldienstleister: Mit Blick auf die Flughäfen und auf die Gastronomie, wo an allen Ecken und Enden Personal fehlt, das noch nicht einmal zu den Gut- oder Hochqualifizierten zu zählen ist, drängt sich allerdings schon der Eindruck auf, dass es Deutschland allgemein an Arbeitskräften fehlt. Wie sehen Sie das?
Werner: Das stimmt, wir reden inzwischen über Arbeitskräftemangel, insbesondere in den persönlichen Dienstleistungen sowie bei gewerblichen und handwerklichen Helfertätigkeiten. Aber auch die formal Geringqualifizierten haben Talente und können etwas besser als andere. In vielen Produktionsbereichen können sie digital unterstützt auch anspruchsvollere Aufgaben erledigen und damit helfen, den Fachkräftemangel zu mildern.
Personaldienstleister: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit geht davon aus, dass selbst bei Hebung der inländischen Potenziale – also beispielsweise mehr Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren – ein erhebliches Maß an Zuwanderung notwendig ist, um das Arbeitskräfteangebot in Deutschland stabil zu halten. Was müssen wir tun, damit wir für die nötige Arbeitsmigration attraktiv genug sind?
Werner: Diese Einschätzung teilen wir, denn wir haben bei der Beschäftigung von Frauen und Älteren in den vergangenen zehn Jahren große Fortschritte gemacht, so dass hier schon viel Potenzial gehoben wurde. Auch wenn nach wie vor viele Frauen ihre Arbeitszeit gerne ausweiten wollen und mit mangelnder Flexibilität und Angeboten der Kinderbetreuung hadern. Zuwanderung ist angesichts der künftigen demografischen Entwicklung unverzichtbar. Um attraktiver zu werden, müssen wir noch intensiver im Ausland werben, wofür wir inzwischen mit Make it in Germany eine gute Plattform haben, die administrativen Prozesse etwa bei Anerkennung und Visavergabe beschleunigen und verbessern und komplett digitalisieren und zudem mehr Kooperationen mit den Zielländern eingehen. Den größten Fachkräftemangel haben wir in Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung. Hier gilt es, die neuen Möglichkeiten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes besser zu nutzen. Daher sind Kooperationen vor Ort wichtig, um Spracherwerb und Qualifizierung vor einer Zuwanderung zu verbessern. Gut gemacht kommt dies auch den Herkunftsländern zugute.
Personaldienstleister: Gerade KMU, die Sie ja beim KOFA besonders bei der Fachkräftesicherung unterstützen, tun sich sehr schwer, Personal aus sogenannten Drittstaaten, also außerhalb der EU, zu rekrutieren. Was kann beziehungsweise, was muss sogar gemacht werden, um diesen Unternehmen zu helfen?
Werner: KMU sind mit den vielfältigen Aufgaben der internationalen Rekrutierung häufig überfordert. Es gibt zahlreiche Fragen zu beantworten, wie: Welches Zielland bietet Potenzial für meinen Fachkräftebedarf, wie kann ich dort auf mich aufmerksam machen, wie kann ich die Einreise vorbereiten und erfolgreich gestalten, was muss ich rechtlich und organisatorisch beachten? KMU brauchen hier Unterstützung und Begleitung bis hin zur Integration in Betrieb und Alltag sowie zur weiteren Qualifizierung in Deutschland. Eine solche Mittlerfunktion könnte hervorragend die Zeitarbeit erfüllen. Ich halte es für einen Fehler, dass wir diesen erfolgversprechenden Kanal der Zuwanderung bislang rechtlich verschlossen halten. KMU sind hier auf Unterstützung angewiesen, die über das Aufgabenspektrum der ZAV hinausgeht. Die ZAV leistet wichtige Vermittlungsarbeit und bereitet derzeit die Zuwanderung aus zahlreichen Fokusländern vor, für die wir mit unserem BQ-Portal Informationen zu den dortigen Berufsbildungssystemen und Berufsabschlüssen bereitstellen. Die Zeitarbeit war übrigens auch Vorreiter bei der beruflichen Anerkennung, als 2010 das Anerkennungsgesetz eingeführt wurde. Auch diese Expertise bei der Kompetenzfeststellung und passenden Weiterbildung kann sie in eine solche Mittler- und Beraterrolle einbringen.
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